Früherkennung durch Abwasser: Wie das Monitoring von Viren zur Gesundheitsvorsorge beiträgt
In der Schweiz werden Abwasserproben regelmässig auf Viren wie SARS-CoV-2, Influenza und RSV untersucht. Seit Juli 2023 erfolgt dies durch 14 grössere Kläranlagen, um einen möglichst grossen Teil der Bevölkerung zu erfassen. Diese Methode ermöglicht eine frühzeitige Erkennung von Krankheitserregern und liefert wertvolle Hinweise für Gesundheitsbehörden und Risikopatient:innen. Wie Abwasserdaten helfen können, aufkommende Infektionswellen früh zu erkennen, beantwortet uns Christoph Ort von der Eidgenössische Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (Eawag) im Interview.
Text von Eva Maria Hodel, Franziska Iff, Emily Lim
Wie oft werden die Abwasserproben auf Viren untersucht?
Christoph Ort: Die Eawag analysiert Proben viermal pro Woche auf die respiratorischen Viren SARS-CoV-2, Influenza A und B Viren, sowie RSV. Die Abwasserproben der Kläranlage Bendern im Fürstentum Liechtenstein werden dreimal pro Woche durch ein lokales Labor analysiert.
SARS-CoV-2 | Schweres-akutes-Atemwegssyndrom-Coronavirus Typ 2 |
RSV | Respiratorisches-Synzytial-Virus |
Hilft Abwassermonitoring bei der Früherkennung gefährlicher Erreger?
Ja, vor allem dann, wenn wenige Menschen sich testen lassen oder Tests schwer verfügbar sind. Während der Covid-19-Pandemie zeigte das Abwassermonitoring zuverlässig die Infektionsentwicklung und half, die Ausbreitung neuer Virusvarianten früh zu erkennen. In einigen Fällen wurden neue Varianten im Abwasser in der Schweiz bis zu einem Monat oder noch früher entdeckt als bei Einzeltests von Personen.
Wie viele Erreger lassen sich pro Probe erkennen?
Mit einer einzigen PCR-Analyse lassen sich derzeit vier Atemwegsviren gleichzeitig erfassen: SARS-CoV-2, Influenza A und B Viren sowie RSV. Diese «Multiplex»-Technologie spart viel Zeit und Kosten und ermöglicht eine zuverlässige Qualitätskontrolle der Ergebnisse. Die Eawag arbeitet daran, ähnliche Analysen auch für weitere Viren wie z.B. Mpox (Affenpocken), zu entwickeln, um diese bei Bedarf in naher Zukunft überwachen zu können.
PCR | Polymerase-Kettenreaktion; an der Eawag verwendet zum Nachweis von genetischem Material der Viren in einer Abwasserprobe |
Wie schnell liegen Ergebnisse vor?
In der Regel liegen die Resultate etwa vier Tage nach Probenentnahme vor. Sobald eine Person Virus-RNS ausscheidet, erreicht diese meist innerhalb von zwei Stunden die jeweilige Kläranlage, wo Proben über 24 Stunden gesammelt werden. Aus Kostengründen erfolgt der Transport ins Labor allerdings nur einmal pro Woche, sodass das jüngste Ergebnis maximal vier Tage alt ist.
RNS | Ribonukleinsäure; genetisches Material bestimmter Viren |
Welche Massnahmen kann das Abwassermonitoring beeinflussen?
Das Abwassermonitoring zeigt frühzeitig Infektionstrends, die von Ärzt:innen und besonders Risikopatient:innen genutzt werden, um steigende Fallzahlen zu erkennen. Ärzt:innen in Spitälern können auf Basis der Abwasserdaten vorhersagen, wie sich die Hospitalisierungen entwickeln werden. Auch viele Risikopatient:innen nutzen diese Daten, um zu entscheiden, ob sie Schutzmassnahmen wie Home Office oder das Tragen einer Maske ergreifen sollen.
Könnte man Abwasser auch in kleineren Gebieten untersuchen?
Ja, theoretisch liesse sich Abwasser gezielt in bestimmten Stadtteilen oder Einrichtungen wie Pflegeheimen beproben, dann aber mit sogenannten Passivsammlern, weil es keine fest installierten Probenentnahmegeräte gibt. So könnte allenfalls ein einzelner Fall entdeckt werden – aber vielleicht auch nicht, denn nur etwa jede zweite Person scheidet massgebliche Mengen an SARS-CoV-2-RNS aus. Ein negativer Befund ist damit keine Garantie, dass es dort keine infizierte Person gibt; umgekehrt könnte ein positiver Befund von einer nicht in diesem Gebiet wohnhaften Person verursacht sein. Und so stellt sich auch die ethische Frage, bis wo das öffentliche Interesse geht und ab welchem Punkt die Privatsphäre nicht mehr geschützt ist.
Ist Echtzeitmessung möglich?
Einige Unternehmen bieten bereits Echtzeitanalysen direkt an der Kläranlage an, die innerhalb einer Stunde Daten liefern können. Diese Methoden sind jedoch weniger sensitiv und weniger genau als die Laboranalysen und basieren auf Stichproben, nicht auf 24-Stunden-Mischproben. Zudem können mit Echtzeitverfahren (noch) keine RNS-Extrakte archiviert und rückwirkend ausgewertet werden, was bei der Laboranalyse möglich ist, da diese RNS-Extrakte bei -80 °C eingelagert werden.
Detaillierte Informationen zur Messmethodik und Terminologie sind auf der Webseite der Eawag ersichtlich. Die aktuellen Daten werden auf dem neuen Dashboard publiziert.